Meßprinzip und Charakterisierung der Ramanspektroskopie

(übernommen von der TU-Dresden)

In einem klassischen Raman-Experiment bestrahlt man Moleküle mit einem nachträglich fokussierten Laserstrahl. Die Wellenlänge l0 muß so gewählt werden, daß sie von der Substanz nicht absorbiert wird. Die unter einem Winkel von 90° (Flüssigkeiten, Gase) bzw. 180° (Festkörper) austretende Streustrahlung wird durch ein Gitterdoppelmonochromator spektral zerlegt. Die Intensität der spektral zerlegten Streustrahlung wird von einem Detektor (CCD-Kamera) gemessen. Die Aufzeichnung der Streustrahlungsintensität als Funktion der Wellenzahl erfolgt durch die entsprechende Gerätesoftware.

Im Gegensatz zu dispersiven Geräten werden bei der Fourier-Transform-Ramanspektroskopie Interferometer zur Analyse des gestreuten Lichtes eingesetzt. Vorteile dieses Systems sind sein großer Lichtleitwert (Jaquinot- Vorteil), die zeitgleiche Registrierung der Strahlungsintensität über den gesamten Wellenlängenbereich (Multiplex- oder Felgett- Vorteil) und die hohe Wellenzahlgenauigkeit (Connes- Vorteil).

Folgende Beobachtungen können bei einem Raman-Experiment gemacht werden:

Wie lassen sich diese Beobachtungen erklären?

Der Ramaneffekt beruht auf der Streuung elektromagnetischer Strahlung an Probenmolekülen. Wird das Erregerlicht ohne Veränderung der Wellenlänge gestreut, so handelt es sich um die Rayleigh-Streustrahlung. Wird durch die elektromagnetische Strahlung eine Molekülschwingung angeregt, dann erhält man die Stokessche und Anti-Stokessche Streustrahlung. Bei der Stokesschen Streustrahlung gehen Moleküle, die sich im Schwingungsgrundzustand befinden, durch Aufnahme von Energie des eingestrahlten Lichtes in einen angeregten Schwingungszustand über. Die Streustrahlung ist demnach längerwelliger. Bei der Anti-Stokesschen Streustrahlung befinden sich bereits Moleküle im angeregten Schwingungszustand und können ihre Energie an die Erregerstrahlung abgeben und in einen energieärmeren Zustand übergehen. Die Streustrahlung ist kürzerwelliger. Da sich Moleküle bei Raumtemperatur meist im Grundzustand befinden, sind diese Übergänge wesentlich seltener und ihre Intensitäten fallen dementsprechend gering aus.

Der Ramaneffekt ist wie die IR-Spektroskopie an bestimmte Auswahlregeln gebunden. Nur die Schwingungen, die zu einer Änderung der Polarisierbarkeit a der Elektronenhülle führen, sind ramanaktiv.

da/ dr¹0

Neben der Frequenz und Intensität ist in der Ramanspektroskopie der Depolarisationsgrad bedeutend. Der Depolarisationsgrad ergibt sich aus der Wechselwirkung von polarisiertem Licht mit dem Molekül.

a) isotrop polarisierbares Molekül <=> Streulicht vollständig polarisiert

b) anisotrop polarisierbares Molekül <=> Streulicht anteilig depolarisiert

Diesen Effekt mißt man mit Hilfe eines Polarisationsfilters. Man verdreht den Filter so, daß für eine bestimmte Richtung eine maximale Intensität beobachtet wird. Dies ist die Intensität I(parallel) für vollständig polarisiertes Licht. Verdreht man den Polarisator um 90°, so verringert sich die Intensität auf I(senkrecht). Der Depolarisationsgrad ist wie folgt definiert:

p=Isenkrecht/Iparallel

Der Depolarisationsgrad dient zur Beschreibung der Symmetrie von Schwingungen:

totalsymmetrische Schwingungen isotroper Moleküle => p = 0

totalsymmetrische Schwingungen anisotroper Moleküle => 0 < p < 0.75

nicht totalsymmetrische Schwingungen => p = 0.75
 

Komplementarität von Raman- und IR- Spektroskopie

Die Ramanspektroskopie ist wie die IR-Spektroskopie eine Methode zur Registrierung der Schwingungsspektren gasförmiger, flüssiger und fester Proben und damit neben anderen Anwendungen ein wichtiges Hilfsmittel der instrumentellen Analytik zur Stoffidentifizierung (charakteristische Schwingungen funktioneller Gruppen, Spektrenvergleiche). Sie unterliegt jedoch anderen Auswahlregeln, so daß sich Raman- und IR-Spektrum einer Substanz sowohl bezüglich der Bandenaktivität als auch der Intensitäten unterscheiden. Symmetrische zweiatomige Moleküle wie Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, liefern ein Raman-Spektrum aber kein IR-Spektrum. Die C=C-Valenzschwingung des Ethens erscheint im Raman-Spektrum als intensive Bande, während sie im IR-Spektrum nicht zu beobachten ist. Gleiches gilt für die totalsymmetrische Valenzschwingung des Benzens. Bei aus Symmetriegründen in beiden Methoden erlaubten Schwingungen kann in vielen Fällen ein umgekehrtes Intensitätsverhältnis beobachtet werden. Im allgemeinen ergänzen sich Raman- und IR-Spektrum gegenseitig und sind daher gut geeignet, um eine Substanz eindeutig zu charakterisieren.

Bei verschiedenen Fragestellungen findet die Ramanspektroskopie bevorzugte Anwendung. Wäßrige Lösungen können mit der IR-Spektrometrie nur unter Verwendung von speziellem Küvettenmaterial untersucht werden. Auch im niederfrequenten Wellenzahlbereich ist die Ramanspektroskopie im Gegensatz zur Komplementärmethode ohne zusätzlichen experimentellen Aufwand einsetzbar.
 


Aufgaben

  1. Registrieren Sie die Ramanspektren der unbekannten Substanzen. Versuchen Sie dabei auch intensitätsschwache Banden zu erfassen.

  2.  
  3. Bestimmen Sie die Schwingungswellenzahlen und relativen Intensitäten aller Banden.

  4.  
  5. Ordnen Sie die Banden jedes Spektrums mit Hilfe von Tabellen charakteristischen Gruppenschwingungen zu (Geeignete Tabellen finden Sie in den Literaturstellen /1/ und /2/).

  6.  
  7. Identifizieren Sie mit Hilfe der Resultate aus 2. und 3. sowie des Schrader/Meier-Atlas die gemessenen Substanzen.

  8.  
  9. Vergleichen Sie die Bandenaktivität, die Wellenzahlen und die Bandenintensitäten der IR- und Ramanspektren der identifizierten Substanzen. Stellen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest und diskutieren Sie diese auf der Grundlage Ihrer spektroskopischen Kenntnisse. Versuchen Sie, insbesondere Ihre Kenntnisse über die Schwingungsauswahlregeln anzuwenden.

  10.  
  11. Führen Sie eine Messung des Depolarisationsgrades an einer vorgegebenen Substanz aus.

  12.  
  13. Messung biologischer Proben.

  14.  
  15. Messung von Werkstoffschichten mit Hilfe des Ramanmikroskopes.

Wiederholen Sie vor Antritt des Praktikums noch einmal folgende Punkte:

  1. Prinzipielle Arbeitsweise eines Gaslasers und Eigenschaften von Laserstrahlung.
  2. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Energie, Frequenz, Wellenzahl und Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung?
  3. Welchen Einfluß hat das Ausbreitungsmedium auf die genannten Eigenschaften?
  4. Schwingungsarten (Grundschwingung, Kombinationsschwingung, Oberschwingung, Entartung,...) und Strukturaufklärung (Substanzklassen, funktionelle Gruppen) in der Ramanspektroskopie.
  5. Grundlagen der Ramanspektroskopie (Ramaneffekt, Auswahlregeln, Ramanspektren, Depolarisationsgrad, Aufbau eines Ramanspektrometers,...).


 

Literatur

  1. E. Steger u.a. „Strukturanalytik" Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig/Stuttgart 1992
  2. E.Steger u.a. „Strukturaufklärung, Spektroskopie und Röntgenbeugung", Arbeitsbuch 3 des Lehrwerkes Chemie, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig
  3. K. Doerffel u.a. „Analytikum", Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig
  4. M. Hesse u.a. „Spektroskopische Methoden in der organischen Chemie", Georg Thieme Verlag, Stuttgart-New York
  5. M. Otto „Analytische Chemie", VCH 1995
  6. J. Weidlein, U. Müller, K. Dehnicke „Schwingungsspektroskopie", Georg Thieme Verlag, Stuttgart-New York
  7. B. Schrader, „Infrared and Ramanspectroscopy", VCH


 

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