Elektrolyte - Ionentransport

Beim Transport von Ionen in einer Lösung unter Einfluß eines elektrischen Feldes bewegen sich die Kationen in Richtung der negativ geladenen Elektrode und die Anionen in Richtung der positiv geladenen Elektrode.

Die Leitfähigkeit einer Lösung bestimmt man durch Messung ihres elektrischen Widerstandes. Um den Einfluß der Elektroden auf die Messung zu minimieren arbeitet man mit Wechselstrom (1 kHz). Für den Widerstand R einer Probe der Länge l und dem Querschnitt A gilt:

R  =  ρl/A,

wobei ρ der spezifische Widerstand und σ = 1/ρ die Leitfähigkeit (Einheit Siemens, 1 S = 1 Ω-1) ist.
Es ist problematisch, die Leitfähigkeit einer Lösung aus dem gemessenen Widerstand und aus den Dimensionen der Meßzelle zu berechnen, weil der Verlauf des Stroms im Innern der Flüssigkeit anders als in einem Draht ist. In der Praxis eicht man die Zelle mit einer Lösung, deren Leitfähigkeit σ* bekannt ist und berechnet aus dem gemessenen Widerstand R* über CZ = σ* · R* die Zellkonstante CZ. Mißt man dann an der zu untersuchenden Probe in derselben Zelle den Widerstand R, so ist deren Leitfähigkeit σ = CZ/R.

Zur Leitfähigkeit einer Lösung tragen sowohl die Anionen als auch die Kationen bei; sie hängt von der Anzahl der vorhandenen Ionen ab, und man führt deshalb die molare Leitfähigkeit Λm über die Beziehung
 

Λm  =  σ/c

ein, wobei c die molare Konzentration des gelösten Elektrolyten ist.

Wenn man die Konzentrationsabhängigkeit von molaren Leitfähigkeiten mißt und die Kurven vergleicht, so stellt man fest, dass es zwei Klassen von Elektrolyten gibt: Bei starken Elektrolyten ist die molare Leitfähigkeit nur schwach von der Konzentration abhängig und nimmt langsam ab, wenn man die Konzentration erhöht. Bei den schwachen Elektrolyten beobachtet man für sehr kleine Konzentrationen (c → 0) eine ähnliche molare Leitfähigkeit, die aber schnell auf kleine Werte abfällt, wenn man die Konzentration erhöht. Diese Einteilung hängt sowohl vom Lösungsmittel als auch vom Elektrolyten ab: Lithiumchlorid ist z.B. in Wasser ein starker, in Aceton ein schwacher Elektrolyt.

Starke Elektrolyten sind in Lösung vollständig ionisiert. Deshalb ist in ihren Lösungen die Ionenkonzentration einfach proportional der Konzentration des Elektrolyten. Die molaren Leitfähigkeiten starker Elektrolyte sind bei kleinen Konzentrationen durch die Beziehung
 

Λm  =  Λm0− Ke · c½

gegeben.  Λm0 ist die molare Grenzleitfähigkeit und Ke ein Koeffizient, der mehr vom Typ des Elektrolyten (z.B. der Zusammensetzung MA oder M2A usw.), als von den Ionen, aus denen er besteht, abhängt.

Der Zahlenwert von Λm0 setzt sich aus den Beiträgen der einzelnen Ionen zusammen:

Λm0  = ν+λ++νλ

wobei λ+ bzw λ die molare Leitfähigkeit der Anionen bzw. Kationen ist und ν+ bzw. ν die Anzahl der Kationen und Anionen angibt, die in einer Formeleinheit des Elektrolyten enthalten sind (HCl, NaCl usw.: ν+ = ν = 1; MgCl2: ν+ = 1 und ν = 2). Dieses Gesetz ermöglicht es uns, für einen beliebigen starken Elektrolyten (zumindest bei unendlicher Verdünnung) aus den Werten für λ+ und λ (siehe Tabelle) die molare Leitfähigkeit zu berechnen.
 

Tabelle 1: λ+, λ von Ionen in Wasser bei 298 K [S cm2 mol-1]
H+ 349,6 OH 199,1
Na+ 50,1 Cl 76,4
K+ 73,5 Br 78,1
Zn2+ 105,6 SO42− 160,0
Li+ 38,7    
Ba+ 127,2    

Unter schwachen Elekrolyten verstehen wir solche, die in Lösung nicht vollständig dissoziiert sind. Die starke Konzentrationsabhängigkeit ihrer Leitfähigkeit kommt dadurch zustande, dass das Gleichgewicht AB(aq) ↔  A+(aq) + B(aq) bei Verdünnen nach rechts verschoben wird.

Der Elektrolyt hätte, wenn er (hypothetisch) vollständig dissoziiert wäre, die molare Leitfähigkeit Λ'm; weil aber in Wirklichkeit in der Lösung nur der Bruchteil α ionisiert ist, messen wir nur die molare Λm, für die gilt

Λm  = αΛ'm  =  αΛ°m

Mit dem Dissoziationsgrad α und der Konzentration c können  wir die Gleichgewichtskonzentration berechnen:
 

AB ↔  A+ + B
c(1 - α) αc αc

Es ist also K = cα²/1−α

Mit α = −Λm/Λ°m erhalten wir

K  =  Λ²mc/[Λ°m (Λ°m−Λm)]

Verdünnte Lösungen schwacher Elektrolyte gehorchen dieser Gleichung recht genau.

Andererseits kann man aus der Konzentrationsabhängigkeit von Λm die molare Grenzleitfähigkeit berechnen. Man kann die Formel für die Gleichgewichtskonstante K leicht in die Form

1/α  =  1 + αc/K

bringen; setzt man α = Λm/Λ0m ein, so erhält man daraus

1/ Λm  =  1/Λ°m + Λmc/K(Λ°m)2

Das ist das Ostwaldsche Verdünnungsgesetz:  trägt man 1/ Λm gegen (Λmc) auf, so schneidet die Gerade die Ordinate bei 1/Λ°m. Wenn Λ°m bekannt ist, kann man die Gleichgewichtskonstante K aus der Steigung m über K=1/m(Λ°m)2 berechnen.
 

Wir wollen uns den Mechanismus der Ionenwanderung in Lösung nun etwas näher ansehen. Auf Ionen in Lösung wirken eine Reihe von Kräften. Die Ionen erfahren ungeordnete Stöße durch die benachbarten Moleküle des Lösungsmittels. In einem elektrischen Feld E erfährt ein Ion mit der Ladung ze eine Kraft mit dem Betrag F  =  z e E.
Diese Kraft beschleunigt ein Kation in Richtung der Kathode und ein Anion in Richtung der Anode. Wenn ein Ion durch das Lösungsmittel gezogen wird, erfährt es eine Reibungskraft F', die mit zunehmender Geschwindigkeit immer größer wird und das Ion abzubremsen versucht. Wenn wir annehmen, dass die Stokessche Gleichung  F' = 6πηa w  für eine Kugel mit dem Radius a und der Geschwindigkeit w auch für so kleine Teilchen wie Ionen gilt, dann wird eine stationäre Wandergeschwindigkeit erreicht, bei der sich die beschleunigende Kraft des elektrischen Feldes, F = z e E, und die Reibungskraft F' im Gleichgewicht befinden (F=F'):

w  =  zeE/6πηa

Die Wanderungsgeschwindigkeit w bestimmt, wie schnell die Ladungen transportiert werden; wir können also erwarten, dass die Leitfähigkeit abnimmt, (a) wenn die Viskosität größer wird, und (b) wenn die Ionen größer werden.
 
 
Abb. 1: (a) Wenn kein äußeres Feld angelegt wird, ist die Ionen-Atmosphäre um ein zentrales positives Ion kugelsymmetrisch. (b) Ein elektrisches Feld deformiert die Ionen-Atmosphäre; die Zentren der positiven und negativen Ladungen fallen nicht mehr zusammen. Dadurch wird die Bewegung des Zentralions gebremst.

Experimentell lassen sich diese Voraussetzungen für große Ionen wie R4N+ oder RCOO- bestätigen, nicht aber für kleine Ionen. Man kann diese Diskrepanz deuten, wenn man den hydrodnamischen (effektiven) Radius eines Ions einführt, bei dem berücksichtigt wird, dass ein Ion bei seiner Wanderung eine Reihe von Lösungsmittelmolekülen mit sich führt (Abb. 1a). Kleine Ionen haben stärkere elektrische Felder um sich herum als große, denn das elektrische Feld auf der Oberfläche einer Kugel mit dem Radius R ist proportional z e/. Kleine Ionen sind stärker solvatisiert als große. Ein Ion mit kleinem Ionenradius, das bei seiner Wanderung viele Lösungsmittelmoleküle mit sich schleppt, hat einen großen hydrodynamischen Radius, und seine molare Leitfähigkeit ist kleiner als die eines größeren Ions mit derselben Ladung. Tatsächlich sind die Verhältnisse noch etwas komplizierter, wenn man die Abbildung 1 ansieht.

Die Wanderungsgeschwindigkeit w ist in jedem Fall der Stärke des angelegten Feldes E proportional. Den Proportionalitätsfaktor nennt man Beweglichkeit u eines Ions:
 

w  =  u E

In der nachfolgenden Tabelle sind einige Zahlenwerte von Ionen-Beweglichkeiten angegeben. Sie liegen meist um 6 · 10-4 cm2.s-1.V-1. Das bedeutet, wenn die Feldstärke gerade 1 V·cm-1 beträgt, wandern die Ionen mit einer Geschwindigkeit von 6 · 10-4 cm·s-1. Das erscheint uns sehr langsam, ist es aber nicht, wenn man einen molekularen Maßstab anlegt, denn in einer Sekunde muss ein Ion etwa 10000 Lösungsmittelmoleküle passieren.
 

Tabelle 2: Ionenbeweglichkeiten in Wasser bei 298 K, u / 10-4 cm2.s-1.V-1
H+ 36,23 OH 20,64
Na+ 5,19 Cl 7,91
K+ 7,62 Br 8,09
Zn2+ 5,47 SO42− 8,29

Eine Ausnahme ist das Proton; es ist sehr klein und hat trotzdem eine sehr hohe molare Leitfähigkeit (Tab. 2). Da nicht einzelne hochsolvatisierte Protonen durch die Lösung wandern, sondern der Protonen-Transport erfolgt im wesentlichen durch Umlagerung von Bindungen in einer langen Kette von (über H-Brücken assoziierten) Wassermolekülen. Demnach wird die zu beobachtende Leitfähigkeit bestimmt durch die Schnelligkeit, mit der sich die Wassermoleküle umorientieren können, um je nach Bedarf in der Lage zu sein, Protonen aufzunehmen oder abzugeben.
 
 
Abb. 2: Alle Kationen, die von A weniger als w+Δt entfernt sind (also in dem Volumen w+AΔt enthalten sind), wandern durch die Fläche A. Die Anionen auf der anderen Seite der gedachten Fläche tragen ebenfalls zum Strom bei.

Betrachten wir die Lösung eines starken Elektrolyten bei der Konzentration c. Jede Formeleinheit erzeugt ν+ Kationen mit der Ladung z+e und ν Anionen mit der Ladung ze (die Teilchendichte einer Ionenart ist deshalb ν+cNA bzw. νcNA). Die Anzahl der Kationen, die im Zeitintervall Δt durch ein gedachtes Fenster mit der Fläche A wandern (siehe Abbildung 2), ist gleich der Anzahl der Teilchen, die nicht mehr als w+Δt von diesem Fenster entfernt sind, die also in dem Volumen w+ΔtA enthalten sind. Die Anzahl der Ionen in diesem Volumen ist dann (w+ΔtA) ·+cNA). Damit erhalten wir für die Anzahl der Kationen, die in der Zeiteinheit Δt durch ein Fenster mit dem Querschnitt A wandern (das ist der Kationenfluß)

JKationen  =   (w+ΔtA) .+c NA)/ΔtA  =  w+ν+cNA

Jedes Kation transportiert die Ladung z+e, der Ladungsfluß wird also

JLadung  =  z+w+ν+ceNA  =  z+w+ν+c F

wobei F = e · NA die Faradaysche Konstante ist. Mit w = uE erhalten wir daraus
 

JLadung  =  z+u+ν+c F E

Der elektrische Strom durch die Querschnittsfläche A, soweit er von der Wanderung der Kationen herrührt (I+), ist gleich dem Produkt aus dem Ladungsfluß und der Fläche: I+ = J · A. Berücksichtigen wir noch, dass für das elektrische Feld E = U/l gilt, dann folgt für I+

I+  =  z+u+ν+c F A U / l

Den Zusammenhang zwischen dem Strom und der Spannun U gibt das Ohmsche Gesetz, I = U/R an. Der Widerstand R ist mit der Leitfähigkeit σ über 1/R = σA/l verknüpft. Für Kationen gilt folglich I+ = σ+ U A/l. Vergleicht man das mit der letzen Formel so ergibt sich σ+ U A/l= (z+ u+ ν+ c FAU)/l
 

σ+  =  z+u+ν+ c F

Wegen Λm = σ/c hängt die molare Grenzleitfähigkeit einer Lösung hängt mit den Beweglichkeiten der einzelnen Ionen über die Beziehung
 

Λ0m  =  {z+u+ν+ + zuν} F

zusammen und die molare Ionen-Leitfähigkeit beträgt
 

λ+  =  z+u+ F

Entsprechendes gilt für die molare Leitfähigkeit der Anionen:
 

λ  =  zuF

Für einen symmetrischen z+ : z- Elektrolyten (z.B. CuSO4: z+ = z = z ;  ν+ = ν = 1) vereinfacht sich das zu

Λ0m  =  z (u+ + u) F

Die Hittorfsche Überführungszahl t ist der Bruchteil des Gesamtstroms, den eine Ionenart transportiert. Enthält eine Lösung nur zwei Ionenarten, so ist die Überführungszahl der Kationen bzw. der Anionen:
 

t+  =  I+/I bzw.   t-  = I-/I

Weil der Gesamtstrom I gleich der Summe der Beiträge der Kationen und der Anionen ist, gilt (t++ t) = 1. Der Beitrag der Kationen zum Gesamtstrom hängt mit der Beweglichkeit der Kationen zusammen ( I+  =  z+u+ν+c F A U / l , siehe oben), entsprechendes gilt für die Anionen, und damit erhalten wir für den Zusammenhang zwischen dem Grenzwert (für kleine Konzentrationen c) der Überführungszahl t0 und u die Beziehung

t0+  =  z+ν+u+/(z+ν+u+ + z-ν-u)

Für einen symmetrischen Elektrolyten vereinfacht sie sich zu

t0+  =  u+/(u+ + u)        und         t0  =  u/(u+ + u)

Da auch λ+ = z+u+F gilt, erhalten wir:

t0+  =  ν+λ+/(ν+λ+ + νλ)      und     t0  =  νλ/(ν+λ+ + νλ)

und
ν+λ+  = t0+·Λ0m     und     νλ  =  t0·Λ0m

Man kann die Überführungszahlen von Ionen direkt messen und damit die Leitfähigkeit λ+, λ der einzelnen Ionen und ihre Beweglichkeiten u+, u bestimmen.

Auf diesem Webangebot gilt die Datenschutzerklärung der TU Braunschweig mit Ausnahme der Abschnitte VI, VII und VIII.