Zwei Eisenbahnzüge bewegen sich auf parallelen Schienen in derselben
Richtung, aber bei verschiedener Geschwindigkeit. Die Reisenden auf diesen
Zügen vergnügen sich damit, zwischen den Zügen hin- und
herzuspringen. Wenn ein Passagier vom schnelleren auf den langsameren Zug
springt, dann überträgt er einen Impuls der Größe
mΔv; hierin ist m seine Masse und Δv
die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den beiden Zügen. Durch diesen
Impuls wird der langsamere Zug etwas beschleunigt. Umgekehrt wird ein Passagier,
der vom langsameren auf den schnelleren Zug springt, den letzteren etwas
verlangsamen. Dieses Springspiel verursacht also eine allmählich Angleichung
der Geschwindigkeiten der beiden Züge. Ein Beobachter, der so weit
entfernt ist, dass er die hin- und herspringenden Reisenden nicht
beobachten kann, wird das beobachtete Phänomen als Reibung zwischen
den beiden Zügen deuten.
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Abb. 1: Zur Ableitung des Viskositätskoeffizienten |
Der Mechanismus, nach dem die Schicht eines strömenden Gases eine viskose Kraft an einer benachbarten Schicht ausübt, ist ganz ähnlich dem eben beschriebenen Mechanismus; die Gasmoleküle übernehmen dabei die Rolle der hüpfenden Passagiere. Die Abbildung symbolisiert ein Gas in einer laminaren Strömung parallel zur x-Achse (diverse Züge mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten). Zwei Schichten haben einen Abstand von λ; die höhere Schicht bewegt sich schneller als die tiefere Schicht. Die Gasgeschwindigkeit nimmt nun vom Wert Null an der Ebene z = 0 mit zunehmenden Werten von z zu. Wenn ein Molekül vom kleinen z überwechselt, dann überträgt es einen Impuls, der kleiner ist als der zur Lage des größeren z gehörige Impuls. Umgekehrt überträgt ein Molekül bei einem Sprung von größerem z auf ein kleiners z, also auf die langsamere Schicht, einen höheren Impuls als jenen, der zu dieser Schicht gehört. Die ungerichteten thermischen Bewegungen der Moleküle bewirken also eine Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit der Moleküle in einer Schicht die weiter vom Rand entfernt ist und eine Erhöhung der Durchschnittsgeschwindigkeit in der Schicht die näher am Rand z = 0 liegt. Diese Impulsübertragung wirkt dem Geschwindigkeitsgefälle entgegen, das durch die an dem Gas wirksamen Scherkräfte verursacht wird.
Da die bremsende Wirkung von der Übertragung der x-Komponente des Impulses zwischen den Schichten abhängt, bestimmt der Fluß dieser Größe in z-Richzung (s. Abbildung) die Viskosität. Der Fluß für den Impuls ist daher proportional zu dvx/dz :
JImpuls ~ dvx/dz
Allgemein erhalten wir daher mit dem Viskositätskoeffizienten η
als (positive) Proportionalitätskonstante :
JImpuls = - ηdvx/dz |
Für ideale Gase liefert die kinetische Gastheorie die folgene Bestimmumgsformel
für η:
einfache Rechnung | komplexere Rechnung | Dimension | |
η | 1/3 m <v>λ·
(N/V)
=
2/3 (kT/πm)½(m/πd²) |
5π/32 m <v> λ·(N/V) = (5π/16)(kT/πm)½(m/πd²) | kg · m-1 · s-1 |
Wie die Wärmeleitfähigkeit ist auch die Viskosität unabhängig
vom Druck (solange die Gefäßdimensionen größer als
die mittlere freie Weglänge sind), da zwar (N/v)~
p ist, aber andererseits λ~1/p
ist. Mit zunehmenden Druck stehen zwar mehr Impulsüberträger
(Moleküle) zur Verfügung, aber sie transportieren den Impuls
aufgrund der kleineren mittleren freien Weglänge über eine kürzere
Strecke. Das Verhältnis von Wärmeleitfähigkeit κ
und Viskosität ist
κ/η = 5/2 Cv,m/M |
wobei M = m/NA die molare Masse in kg/mol ist.
Die Viskosität nimmt für Gase mit der Wurzel aus der Temperatur zu (<v> ~ T½), d.h. wärmere Gase strömen schlechter als kältere ! Im Allgemeinen nimmt dagegen die Viskosität einer Flüssigkeit mit steigender Temperatur ab (man denke nur an die Einsatzbereiche von Motorenöle 5W30, 20W...etc.).
Es sei darauf hingewiesen, dass die obigen Betrachtungen nur für
den Fall einer laminaren Strömung zutreffen. Man kann daraus auch
eine Definition machen:
Eine Strömung, deren Verhalten durch
die innere Reibung bestimmt wird, heißt laminare Strömung
im Gegensatz zur
turbulenten Strömung.
Strömungen wie Flüsse oder Wasser in der Wasserleitung sind
i. A. turbulent; die Blutzirkulation ist normalerweise laminar. Bei laminaren
Strömungen gleiten selbst sehr dünne Flüssigkeitsschichten
glatt übereinander hin, bei turbulenten wirbeln sie ineinander. Mit
Hilfe suspendierter Farbstoffteilchen sind beide Strömungsformen deutlich
zu unterscheiden. Ein theoretisches Kriterium gibt die Reynold-Zahl:
Re = ρvl/η |
heißt Reynolds-Zahl des Strömungsvorganges. ρ ist die Dichte, v die mittlere Geschwindigkeit, l die charakteristische
Länge und η die Viskosität.
Die Strömung ist laminar für sehr kleine, turbulent für
große Wertes dieses Audruckes. Man findet in Rohren den Umschlag
bei ρvl/η
» 1000-2000. Die typischen Wirbelabmessungen betragen dann etwa 1/30
des Rohrradius.
Beim Umschlag von laminar zu turbulent wächst der Strömungswiderstand
erheblich an. Er ist nicht mehr proportional zu v. Für eine Kugel
geht die Stokessche Widerstandskraft F = 6πηvr
in einen Newtonschen Widerstand F = ½ ρAv2
über. Wo es auf einen minimalen Widerstand ankommt (Blutkreislauf),
ist Turbulenz verderblich; bei Heizungs- oder Kühlrohren kann sie
dagegen wünschenswert sein.
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