Von den Physikgrundvorlesungen wissen wir, dass ein Teilchen immer durch Angabe seines Ortes und seiner Geschwindigkeit, bzw. seines Impulses, eindeutig festgelegt ist. Wenn wir es aber wie in der Chemie mit vielen Teilchen zu tun haben, was ist dann die Geschwindigkeit? Die einzelnen Teilchen haben natürlich eine genau definierte Geschwindigkeit. Für alle Teilchen können wir lediglich eine mittlere Geschwindigkeit <v> angeben; aber es ist zusätzlich möglich, die Verteilung der Geschwindigkeiten anzugeben, d.h. wir können sagen, wie groß der Prozentsatz der Teilchen ist, die sich beispielsweise im Geschwindigkeitsbereich 200 m/s bis 225 m/s und wie viele sich im Bereich 225 - 250 m/s bewegen. Wir wollen uns nun die mathematischen Grundlagen für Mittelwerte und Verteilungsfunktionen an einer Radarkontrolle der Polizei klarmachen:
Wenn wir uns in einer Ortschaft an eine Straße stellen und die
mittlere Geschwindigkeit der Fahrzeuge messen, was wird dabei wohl herauskommen?
40 km/h, 50 km/h, 60 km/h oder mehr?
Leider alles falsch! Im Mittel fahren gleich viele Fahrzeuge nach links
und nach rechts und die Geschwindigkeiten heben sich im Mittel auf, d.h.
die Durchschnittsgeschwindigkeit ist Null! Bedauerlicherweise wird bei
einer Geschwindigkeitsübertretung (z.B. 70 km/h statt erlaubter
50 km/h) der Polizist mit dem Hinweis "ich fahre gleich in der Gegenrichtung
mit 120 km/h, so dass mein Durchschnitt -25 km/h beträgt" nicht
zu überzeugen sein. Auch der Hinweis "ich mache gleich 1 Minute Pause,
so dass meine Durchschnittsgeschwindigkeit unter 50 km/h liegt" wird
das Bußgeld nicht mindern, denn die Polizei misst momentane
Geschwindigkeiten und zwar in einer Richtung.
Aus diesen individuell bestimmten Geschwindigkeiten können wir
allerdings eine Durchschnittsgeschwindigkeit berechnen. Misst z.B.
die Polizei bei 4 Fahrzeugen die Geschwindigkeiten (in km/h): v1
= 40; v2 = 60; v3 = 70 und v4 = 50, dann
ist die Durchschnittsgeschwindigkeit <v>
= (v1+ v2+ v3+ v4) / 4 = (40+60+70+50)/4
= 55 km/h. Wenn nun die Polizei drei weitere PKWs mit 60 km/h und zwei
weitere mit 40 km/h misst, dann können wir natürlich stur
alle Geschwindigkeiten addieren (40+60+70+50+60+60+60+40+40) und durch
die Gesamtzahl der Messungen N=9 dividieren, um die mittlere Geschwindigkeit
auszurechnen. Eleganter ist es jedoch, die Anzahl der Autos Ni,
die bei der gleichen Geschwindigkeit vi gemessen werden mit
ihrer Geschwindigkeit zu multiplizieren und dann die Addition durchzuführen:
oder allgemein ausgedrückt:
Nun gibt N1/N den prozentualen Anteil
der Autos an, die mit der Geschwindigkeit v1 gefahren sind,
wofür wir auch P(v1) schreiben können:
<v> = Σi P(vi) vi |
Diese Formel gilt, wenn die Fahrzeuge nur mit der festen Geschwindigkeiten
vi fahren können. Nun fahren die Autos aber trotz unseres
digitalen Zeitalters nicht exakt 40 oder 50 oder 60 oder 70, sondern alle
leicht unterschiedlich. Würden wir die Polizei fragen, wie viele fahren
55,1245 km/h, dann wäre die Antwort mit ziemlicher Sicherheit "Niemand!".
Und bei 55,1246 km/h? Wahrscheinlich auch niemand. Dies liegt nicht daran,
dass die Polizei unfähig ist, die Geschwindigkeit auf vier Stellen
hinter dem Komma zu gemessen, sondern daran, dass es (höchstwahrscheinlich)
kein Auto gibt, dass exakt 55,1245 km/h fährt. Es gibt
aber sehr wohl viele Fahrzeuge, die in einem Geschwindigkeitsbereich Δv
fahren, z.B. sind es im obigen Zahlenbeispiel 4 Autos, die im Bereich zwischen
55 km/h und 65 km/h fahren und drei im Bereich 35 - 45 km/h , eins im Bereich
45 - 55 km/h und eins im Bereich 65 - 75 km/h , aber keins in anderen Bereichen.
Unser prozentualer Anteil P(vi) gilt also nur für
ein bestimmtes Geschwindigkeitsintervall Δv.
Wenn wir Δv kleiner werden lassen, dann nimmt
auch der prozentuale Anteil P(vi) entsprechend ab. Der
Quotient P(v)/Δv sollte aber nahezu konstant
bleiben. Im Grenzfall Δv →
dv führen wir die Wahrscheinlichkeitsdichte f(v) =
P(v)/dv ein, d.h. f(v)·dv gibt mir die
Wahrscheinlichkeit an, Autos im Geschwindigkeitsbereich [v, v + dv] zu
finden. Unsere Formel für den Mittelwert wird nun
<v> = ∫v f(v) dv |
wobei die Summation nun in eine Integration übergegangen ist, da wir infinitesimale Geschwindigkeitsänderungen zulassen. Wenn f(v) bekannt ist, dann können wir sofort ausrechnen, wie groß der prozentuale Anteil der Autos ist, die sich im Geschwindigkeitsbereich [ v1, v2] bewegen:
Falls v1 und v2 nicht weit auseinander liegen, dann gilt in recht guter Näherung:
Das Integral o∫∞
f(v)dv = 1 muss gelten, da ein Auto irgendeine Geschwindigkeit
haben muss.
Das Schöne an f(v), die auch etwas schlampig Verteilungsfunktion
genannt wird, ist, dass wir daraus alle weiteren Größen,
die von statistischer Relevanz sind, ausrechnen können. Z.B. können
wir nach der Standardabweichung vs fragen, d.h. wie groß
die quadratisch gemittelte Abweichung der Autogeschwindigkeit von der mittleren
Geschwindigkeit <v>
ist:
vs2 = <(v - <v>)2> = ∫(v - <v>)2 f(v)dv = ∫v2 f(v)dv - 2<v>∫v f(v)dv + <v>2 = <v2> - 2<v> <v> + <v>2 = <v2 > −<v>2
Die quadratisch gemittelte Größe <v2> wird nun nach der Formel
<v2> = ∫v2 f(v) dv |
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