Bei chemischen Reaktionen, die wir allgemein mit
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bezeichnen wollen, wobei A, B, C, D Atome, Moleküle oder auch Photonen darstellen können, stellen sich uns vor allem drei grundlegende Fragen, deren Beantwortung in dieser Reihenfolge ein immer tieferes Verständnis über die zugrunde liegenden Prozesse verlangt.
1) Wo liegt das chemische Gleichgewicht, d. h. werden vorzugsweise C
+ D oder A + B gebildet?
Diese Frage wird durch die chemische Thermodynamik beantwortet, die
uns Werte für die Gleichgewichtskonstante
K und deren Druck- und Temperaturabhängigkeit
liefert.
2) Mit welcher Geschwindigkeit wird das chemische Gleichgewicht erreicht?
Die Beantwortung dieser Frage ist das zentrale Thema der chemischen
Kinetik und soll daher in den folgenden Kapiteln erörtert werden.
3) Was geschieht im einzelnen beim zeitlichen Ablauf einer Elementarreaktion
und welche Kontrollmöglichkeiten gibt es?
Diese Frage wird in der Chemischen Dynamik beantwortet und setzt detaillierte
Erkenntnisse über die Struktur der Moleküle voraus. Dies
wird in der Vorlesung "PC II" und "Aufbau der Materie" näher behandelt.
Beginnen wir nun mit unseren allgemeinen Betrachtungen zur Kinetik,
d. h. zur Frage der Geschwindigkeit chemischer Reaktionen. Damit zwei Teilchen
überhaupt reagieren können, müssen sie zunächst zusammenkommen,
d. h. so nahe beieinander sein, dass es zu einer Wechselwirkung kommen
kann. So trivial uns diese Aussage auch erscheinen mag, sie erlaubt uns
viele kinetische Prozesse einzuordnen und zu verstehen. So können
wir uns vorstellen, dass eine Reaktion zwischen zwei Phasen an der
gemeinsamen Grenzfläche abläuft (z. B. Gas/Festkörper beim
Einwirken von Luftschadstoffen auf Gebäuden) und es nun davon abhängt,
ob
a) kein Abtransport der Edukte erfolgt (z. B. Aluminiumoxidation) und
damit der zeitliche Ablauf beendet ist, oder
b) der Abtransport langsamer als die eigentliche Reaktion ist und damit
der zeitliche Ablauf nicht durch die eigentliche Reaktion, sondern durch
den (langsameren) Abtransport bestimmt ist, oder
c) sich die Gesamtreaktion in einer Phase fortsetzt.
Wir sprechen von einer Homogenkinetik, wenn nur eine Phase (bei allen Reaktionen) involviert ist, im Gegensatz zur Heterogenkinetik, die Reaktionen an der Grenzfläche untersucht. Aber auch bei der Kinetik in einer Phase kommt es darauf an, ob die Reaktanden homogen vermischt sind oder ob die Geschwindigkeit der Reaktion durch die Dauer von Transportprozessen bestimmt ist. So kommen in Lösungen Stöße zwischen Reaktionspartnern ganz anders zustande als in Gasen, denn die Wanderung eines Teilchens durch das Lösungsmittel wird stets durch Stöße mit den Lösungsmittelmolekülen behindert und ist daher viel langsamer als der freie Flug in der Gasphase. Sind jedoch zwei Reaktanden in der flüssigen Phasen zusammengekommen, dann bleiben sie viel länger zusammen als in der Gasphase, da die sie umgebenden Lösungsmittelmoleküle wie ein Käfig wirken und damit die Chance einer Reaktion deutlich erhöht. Das stetige Rühren dient also dem schnelleren Zusammentreffen der Reaktanden. Natürlich muss nicht jedes Zusammentreffen eine Reaktion zur Folge haben. Entsprechend länger ist der Zeitraum für einen Umsatz von Edukten zu Produkten.
Die schnellste Reaktion ist die, bei der jede Begegnung zweier Reaktanden A + B zur Reaktion führt, d. h. die Geschwindigkeit der Reaktion ist durch die Geschwindigkeit der Edukte bestimmt: Es kommt zu einer Explosion. Ist die Geschwindigkeit der Reaktanden und damit auch die Geschwindigkeit der Reaktion größer als die Schallgeschwindigkeit (weil sie in einer exthermen Reaktion mit hoher kinetischer Energie gebildet wurden), dann spricht man von einer Detonation.
Wenn wir die Kinetik einer chemischen Reaktion untersuchen wollen, dann müssen wir im Grunde den Reaktionsmechanismus genau kennen, um verlässliche Aussagen zu machen. Doch der Weg des Forscherlebens verläuft entgegengesetzt (frei nach dem Motto: wer zu den Quellen will, muss gegen den Strom schwimmen):
1. Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit durch Messung der Konzentrationen von Ausgangsstoffen und Endprodukten zu verschiedenen Zeiten; Aufstellen eines Geschwindigkeitsgesetzes (also einer mathematischen Funktion, die den zeitlichen Verlauf beschreibt); Anpassen von (Geschwindigkeits-)Konstanten, die als Parameter in der Funktion enthalten sind, an die experimentellen Daten.
2. Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den Werten der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten
und der Natur der miteinander reagierenden Stoffe, d. h. ist nur eine Elementarreaktion
oder setzt sich die beobachtete Reaktion aus mehreren Teilschritten zusammen,
z. B. können wir den Zerfall von Ozon sehr schön durch die einfache
Reaktionsgleichung
2 O3 → 3 O2 |
beschreiben, doch läuft der Ozonabbau völlig anders als über den Zusammenstoß zweier Ozonmoleküle ab.
Die Beobachtung eines empirischen Geschwindigkeitsgesetzes sagt daher
sehr wenig über die zugrunde liegenden Prozesse aus. Umgekehrt ist
es hingegen sehr einfach: Wenn wir genau wissen, welche Elementarreaktion
vorliegt (und wir beobachten auch nur diese), dann können wir das
damit verknüpfte Zeitgesetz bestimmen und die Geschwindigkeitskonstanten
aus unseren Messungen gewinnen. Z. B. nimmt das Ozon in der Elementarreaktion
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exponentiell mit der Zeit ab, falls eine konstante Konzentration von Sauerstoffatomen vorhanden ist. (Als Randbemerkung sei erwähnt, dass in einem solchen System auch die Bildung von Ozon über den Elementarprozess O + O2 + O2 → O3 + O2 stattfinden wird.)
Schon die Metallurgen, Bierbrauer, Weingärtner und Alchemisten
des Altertums und Mittelalters machten die Beobachtung, dass chemische
Reaktionen eine gewisse Zeit benötigen. Die ersten quantitativen Untersuchungen
von Bedeutung stammen jedoch von L. WILHELMY (1850), der die Inversion
des Rohrzuckers in sauren Lösungen untersuchte:
Saccharose Glucose Fructose |
Der Fortgang dieser Reaktion lässt sich durch ein Polarimeter
verfolgen (Messung der Drehung der Ebene des polarisierten Lichtes durch
optisch aktive Stoffe: ein auch heute noch sehr geliebter Versuch im Praktikum).
Die Inversionsgeschwindigkeit der Saccharose zu einem beliebigen Zeitpunkt
ist proportional der Konzentration c der jeweils noch vorhandenen
Saccharose. Für die Geschwindigkeit dieser Reaktion gilt also:
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Die Konstante k nennt man die Geschwindigkeitskonstante
der Reaktion. Ihr Zahlenwert ist nahezu proportional der jeweiligen Säurekonzentration.
Da die Säure nicht in der stöchiometrischen Reaktionsgleichung
auftrifft, wirkt sie offenbar als Katalysator: Sie erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit,
ohne selbst verbraucht zu werden. Durch Integration der differentiellen
Gleichung für die Reaktionsgeschwindigkeit erhält man:
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Zur Zeit t = 0 hat die Konzentration ihren Ausgangswert c(t=0)
= co; es ist also C = ln co und
ln c = − kt + ln co,
oder
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In den Jahren 1865 bis 1867 untersuchten A. V. HARCOURT und W. ESSON
die Reaktion zwischen Kaliumpermanganat und Oxalsäure (in saurem Medium).
Trotz der komplizierten Bruttoreaktionsgleichung
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ist die Kinetik dieser Reaktion recht einfach; die Reaktionsgeschwindigkeit ist proportional dem Produkt der Konzentrationen der beiden Ausgangsstoffe. Schon diese Autoren bemerkten, dass die stöchiometrische Gleichung solch komplizierter Reaktionen nicht den tatsächlichen Reaktionsmechanismus symbolisiert. Tatsächlich sind eine Reihe ineinander verschachtelter Elementarreaktionen für den Gesamtablauf verantwortlich.
Die Untersuchung der Kinetik einer Reaktion erfordert Konzentrationsbestimmungen in Abhängigkeit von der Zeit. Im allgemeinen reicht es, die Konzentration einer Komponente zu ermitteln, da die Konzentrationsänderungen aller Komponenten über die stöchiometrischen Faktoren der Reaktion miteinander verknüpft sind.
Voraussetzung für kinetische Messungen ist, dass die für die Analyse benötigte Zeit kurz ist im Vergleich zur Reaktionszeit. Durch eine diskontinuierliche Probennahme stört man zwar nicht den zeitlichen Ablauf der Reaktion, doch wird bei anschließender chemischer Konzentrationsbestimmung so viel Zeit zwischen Probennahme und Vollenden der Analyse liegen, dass dieses Verfahren nur bei extrem langsamen Reaktionen anwendbar ist. Günstiger und bei schnellen Reaktionen allein brauchbar sind physikalische Konzentrationsbestimmungen, die keine diskontinuierliche Probenahme erfordern, sondern kontinuierlich am Reaktionssystem selbst vorgenommen werden können.
Bei relativ langsamen Reaktionen, die unter Volumenänderung verlaufen, bieten sich Messungen des Volumens als Funktion der Zeit an, bei Reaktionen in der Gasphase auch Druckmessungen bei konstantem Volumen. Da die bei der Reaktion freiwerdende oder verbrauchte Wärmemenge ein unmittelbares Maß für den Reaktionsfortschritt ist, können auch kalorimeterische Messungen zum Studium der Kinetik herangezogen werden. Änderungen der Dielektrizitätskonstanten oder des Brechungsindex sind ebenso für die Konzentrationsbestimmungen geeignet. Reaktionen unter Beteiligung von Ionen kann man durch Leitfähigkeitsmessungen verfolgen. Bei optisch aktiven Stoffen gibt die Änderung des Winkels der optischen Drehung von polarisiertem Licht Aufschluss über den Fortgang der Reaktion. Weite Anwendung finden spektroskopische Methoden, die es dank der Lasertechnik erlauben, sogar die molekulare Bewegung in Echtzeit (Femtosekundenbereich) zu verfolgen.
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