Kontrolle des chemischen Gleichgewichts

Wir untersuchen nun die Möglichkeiten, das Gleichgewicht einer chemischen Reaktion durch Änderung der Reaktionsbedingungen zu kontrollieren. Die Gleichgewichtskonstante einer Reaktion wird durch Katalysatoren oder Enzyme (Biokatalysatoren) nicht beeinflußt: Katalysatoren verkürzen die Zeit  zur Einstellung des Gleichgewichts, verändern aber dessen Lage nicht. Allerdings wird bei industriellen Reaktionen das Gleichgewicht selten wirklich erreicht, so dass unter diesen Nichtgleichgewichtsbedingungen Katalysatoren mitunter unerwartete Wirkungen zeigen können und sogar die Zusammensetzung des Reaktionsgemisches verändern.
 

Einfluß des Druckes auf das Gleichgewicht

Der Wert der Gleichgewichtskonstanten K hängt vom Wert von ΔrG° ab; letzterer ist definiert bei einem bestimmten Druck, dem Standarddruck p°. Der Wert von ΔrG° (und damit auch der von K) ist daher konstant - unabhängig davon, bei welchem Druck des Systems sich das Gleichgewicht eingestellt hat. Wir schreiben formal für diese Unabhängigkeit:

(∂K/∂p)T  =  0.

Daraus, dass K nicht vom Druck abhängt, dürfen wir aber keinesfalls schließen, dass die Zusammensetzung des Systems im Gleichgewicht nicht vom Druck beeinflußt wird. Zunächst wollen wir zwei Arten der Druckausübung unterscheiden. Ein Druck kann dadurch ausgeübt werden, dass ein Inertgas in das Reaktionsgefäß gepreßt wird. Wenn sich alle beteiligten Gase ideal verhalten, werden ihre Partialdrücke durch diesen Vorgang nicht geändert und die Konzentrationen der reagierenden Gase ändern sich nicht. Es erfolgt keinerlei Einfluß auf die Zusammensetzung des Systems im Gleichgewicht.
Bei der Kompression hingegen wird das den Gasen zur Verfügung stehende Volumen verkleinert. Nun ändern sich die Partialdrücke der reagierenden Gase und damit ihre Konzentraationen. Die Vorgänge bei der Kompression wollen wir genauer untersuchen, um zu verstehen, wie sich die Änderung der Partialdrücke mit der allgemeinen Aussage, K ist unabhängig vom Druck, vereinbaren läßt. Betrachten wir hierzu beispielsweise das Gleichgewicht A ↔  2B zweier idealer Gase; die Gleichgewichtskonstante ist hierfür

K  =  pB²/pA

(z.B. N2O4→ 2NO2). Damit die rechte Seite konstant bleibt, muss eine Zunahme von pA genau einer Zunahme des Quadrats von pB entsprechen. Diese gegenüber pB deutlich stärkere Zunahme von pA wird nur erreicht, wenn die Konzentration von B im Gleichgewicht zugunsten der von A abnimmt. Die Anzahl der Moleküle von A nimmt auf diese Weise zu, wenn das Gefäßvolumen verringert wird, und der Partialdruck von A wächst stärker, als durch diese Volumenabnahme allein zu erwarten wäre. Diese Zunahme der Menge von A auf Kosten der Menge von B infolge einer Kompression des Systems ist ein spezieller Fall einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit, die von dem französischen Chemiker Henri Le Chatelier vorgeschlagen wurde:

Prinzip von Le Chatelier (Prinzip des kleinsten Zwanges):

Übt man auf ein System im Gleichgewicht eine Störung aus, reagiert das System so, dass die Wirkung dieser Störung möglichst gering ist.

Entsprechend dieser Gesetzmäßigkeit wird ein System im Gleichgewcht beispielsweise auf eine Volumenveringerung (Kompression) so reagieren, dass die entstehende Druckerhöhung minimal wird. Dies kann durch Reduktion der Teilchen in der Gasphase erreicht werden, wozu die Rückreaktion A ← 2B bevorzugt ablaufen muss. Will man den Effekt der Kompression quantitativ erfassen, dann gehen wir davon aus, dass zu Beginn der Reaktion nur die Stoffmenge n von A und kein B vorhanden ist. Im Gleichgewicht beträgt für die Substanz A die Stoffmenge (1-δ)n und für B 2δn. Die entsprechenden Molenbrüche sind:
xA = [(1-δ)n]/[(1-δ)n+2δn] = [1-δ]/[1+δ]     und   xB = /[1+δ]

Für die Gleichgewichtskonstante erhält man danach

K = xB2 p/(xAp°) = (4δ²/[1-δ²])(p/)
wobei p den Gesamtdruck repräsentiert. Für den Dissoziationsgrad δ von A in 2B (z.B. N2O4→ 2NO2) ergibt sich (durch auflösen der Gleichung nach δ):

δ  = (1 + 4p/K p°)

Aus diesem Ausdruck erkennt man, dass sich - auch wenn K selbst nicht vom Druck abhängt - die Stoffmengen von N2O4 beziehungsweise NO2 sehr wohl in Abhängigkeit vom Druck ändern. Weiterhin sieht man, dass  - in Übereinstimmung mit dem Prinzip von Le Chatelier - der Dissozitationsgrad δ abnimmt, wenn p zunimmt.

Zum Schluß eine Randbemerkung zu (∂K/∂p) = 0: Falls wir nicht von Gasreaktionen ausgehen, dann gilt für die Druckabhängigkeit von K:

(∂  ln K/∂p)T  =  −1/RT(∂ΔG°/∂p)T,

wofür sich, wenn der Standardzustand nicht - wie bei Gasreaktionen - auf einen Standarddruck bezogen ist, unter Berücksichtigung der Maxwellschen Beziehung (∂G/∂p)T = V, weiterhin ergibt
 

(∂  ln K/∂p)T  =  −1/RT ΔV°.

Dabei bedeutet ΔV° die Volumenänderung pro Formelumsatz, wenn die Ausgangstoffe aus den Standardzuständen heraus in die Produkte in Standardzustände überführt werden. ΔV° dürfte bei Reaktionen zwischen kondensierten Stoffen in der Größenordnung von 10-6 m3mol-1 liegen. Bei Raumtemperatur beträgt RT (T = 300 K) etwa 2,5 · 103 J mol-1. Damit ist 1/RTΔV° in der Größenordnung von 10-9 m3J-1 = 10-9 Pa-1 entsprechend 10-4 bar-1. Das bedeutet, dass sich bei einer Druckänderung um 1 bar  ln K um 0,01% ändert. wir können deshalb bei Reaktionen zwischen kondensierten Stoffen die Druckabhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten vernachlässigen.
 

Einfluß der Temperatur auf das Gleichgewicht

Nach dem Prinzip von Le Chatelier ist zu erwarten, dass bei Erhöhung der Temperatur eine endotherme Reaktion begünstigt wird, weil das System dabei Wärme aufnimmt. Analog begünstigt eine Temperaturabnahme die exotherme Reaktion; diese setzt Wärme frei und wirkt somit der Abkühlung des Systems entgegen.

Exotherme Reaktion: Eine Temperaturerhöhung verschiebt das Gleichgweicht zugunsten der Edukte.
Endotherme Reaktion: Eine Temperaturerhöhung verschiebt das Gleichgewicht zugunsten der Produkte.

Der Einfluß der Temperatur auf das chemische Gleichgewicht kann über die Gibbs-Helmholtz-Gleichung

d(Δr/T)/dT  = -Δr/T2

berechnet werden, wenn wir für ΔrG°  =  -RT  ln K einsetzten. Wir erhalten dann die van't Hoff-Gleichung:
 

d ln K/dT Δr/RT²

Da d(1/T)/dT = -1/ ist, können wir der van't Hoffschen Gleichung auch eine andere Form geben:
 

d ln K/d(1/T)  = −Δr/R

Die erste Form der van't Hoffschen Reaktionsisobare, wie auch die Gleichung häufig genannt wird, sagt aus, dass d ln K / dT < 0 für alle exothermen Reaktionen (ΔrH° < 0) ist. Eine negative Steigung bedeutet eine Abnahme von ln K (und daher auch von K) bei steigender Temperatur, d.h. die Lage des Gleichgewichts einer exothermen Raektion wird zugunsten der Ausgangsstoffe verschoben. Für endotherme Reaktionen  (ΔrH° > 0) gilt das Gegenteil.

 Zum besseren Verständnis dieser Zusammenhänge betrachten wir noch einmal den Ausdruck ΔrG = ΔrH - T ΔrS in der Form -ΔrG / T = -ΔrH / T + ΔrS. Bei einer exothermen Reaktion entspricht -ΔrH/T einer Entropiezunahme der Umgebung, ist also die Treibkraft für die Produktbildung. Bei steigender Temperatur wird der Betrag von -ΔrH/T kleiner; die Entropiezunahme der Umgebung und damit auch die Triebkraft der Reraktion nimmt ab, der Produktanteil im Gleichgewicht wird geringer. Verläuft die Reaktion hingegen endotherm, liegt die Triebkraft vorwiegend in der Entropiezunahme des Reaktionssystems selbst. Der ungünstige Einfluß der gleichzeitigen Entropieabnahme der Umgebung wird bei Anstieg der Temperatur etwas gemildert (da der Betrag von ΔrH/T kleiner wird, so dass die Produktbildung begünstigt wird.

Integration der van't Hoffschen Gleichung

Um den Wert der Gleichgewichtskonstanten bei einer Temperatur T ausgehend von ihrem Wert bei einer anderen Temperatur TA zu bestimmen, müssen wir die van't Hoffsche Gleichung integrieren

ln K1ln K2  d ln K  =  −1/R1/TA1/TΔrH° d(1/T).

Die linke Seite ergibt (ln K2 − ln K1). Unter der Annahme, dass  ΔrH° im betrachteten Temperaturbereich nicht (oder nur schwach) von T abhängt, können wir diese Größe vor das Integral ziehen und wir erhalten das unbestimmte Integral   ln K  =  - Δr/RT + Integrationskonstante. Oder für das bestimmte Integral:
 

ln K2  =  ln K1 −Δr/R (1/T1/TA)
oder
K(T)  =  K(TA) · exp [− Δr/R (1/T1/TA)]

 
 
Abb. 1: Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstante Kp für das Wassergas-Gleichgewicht; H2 + CO2↔  H2O + CO.
In der Abbildung ist das Wassergasgleichgewicht
H2 + CO2 ↔  H2O + CO

ln Kp gegen 1/T aufgetragen. Man erkennt, dass zwischen 8,3·10-4 K-1 <1/T <20·10-4 K-1, entsprechend 1200 K > T > 500K tatsächlich eine Gerade resultiert, aus deren Steigung man ein ΔH° von + 38,1 kJ mol-1 berechnet. Über die Messung der Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten können wir also die Standardreaktionsenthalpien bestimmen. In diesem Temperaturbereich kann ΔH° als hinreichend temperaturunabhängig angesehen werden. Das ist jedoch nicht mehr der Fall, wenn man zu höheren Temperaturen  (1/T ≤5·10-4 K-1) etwa ab 2000 K geht. Die Abweichung von der Linearität zeigt deutlich, dass wir die Temperaturabhängigkeit von ΔH° berücksichtigen müssen. Dies gelingt uns mit der Hilfe des Kirchhoffschen Satzes:

ΔHT°   =   ΔHT=0°  +  0TΔCp° dT
ΔH°(T2)   =   ΔH°(T1)  +  T1T2ΔCp°dT
 

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