Hybridisierung

Wir wollen nun etwas genauer das Beispiel des Lithiumhydrids betrachten, wobei die LCAO-Darstellung der Molekülorbitale im Mittelpunkt stehen soll. Ab initio-SCF-Rechnungen mit minimaler Basis (als Li-Basis wird ein Satz der Wellenfunktionen Φ1s, Φ 2s, Φ 2p bezeichnet, die H-Basis mit 1s erscheint im folgenden als ΦH) führen nach Ransil (1960) zu den folgenden Molekülorbitalen (eine geringfügige Kombination von φ1s mit den anderen Atomorbitalen wird vernachlässigt)

» f1s
2σ  ≈  0,323 φ2s + 0,231 φ2pz + 0,685 φH

Die Elektronenkonfiguration
LiH [(1σ)² (2σ)²]

setzt sich somit aus der inneren Schale (1σ)² des Litiumatoms zusammen, die mit der im freien Atom nahezu identisch ist, sowie aus dem bindenden 2σ-MO, das zwei Elektronen enthält. Das Li-2p-AO ist zugelassen, denn es liegt nur geringfügig höher als das 2s-AO, und nach dem Energiekriterium gibt es keinen Grund, das 2p-AO auszuschließen. In der LCAO-Entwicklung sollten wir alle Atomorbitale mit nicht zu unterschiedlicher Energie miteinander kombinieren lassen und die Lösungen der Säkulargleichungen abwarten; genau diese Vorgangsweise (Methoden werden später beschrieben) führt zur obigen Gleichung.

Wir möchten an dem sehr einfachen Prinzip festhalten, wonach die Molekülorbitale für zweiatomige Moleküle aus überlappenden Paaren von Orbitalen, wobei sich an jedem Atom nur eines befindet, gebildet werden können. Das ist möglich, wenn die Gleichung in der Form

2σ  =  0,397 (0,813 φ2s + 0,582 φ2p) + 0,685 φH

geschrieben wird. Dieser Ausdruck ist eine Linearkombination zweier Orbitale, an jedem Atom eines, wobei das Lithiumorbital eine Kombination von φ2s  und φ2p  ist. Die so definierte Kombination wird Hybridorbital genannt, und der Vorgang der Kombination wird Hybridisierung genannt.

Die AO-Koeffizienten in dem Hybrid

φhybrid  =  0,813 φ2s + 0,582 φ2p

sind mit einem gemeinsamen Faktor multipliziert worden, damit das Hybrid normiert ist. Ganz allgemein muss dafür die Bedingung

ò (a φ2s + b φ2p)² dτ  =  a² + b²  = 1

gelten (man beachte, dass die den Hybridorbitalen zugrundeliegenden Atomorbitale den Atomkern als gemeinsames Symmetriezentrum aufweisen und daher "gemischte" Integrale, wie Φ2sΦ2pdτ  verschwinden). Zur Kennzeichnung eines solchen sp-Hybrids wird häufig die Population, d.h. a² und b², als hochgestellter Index verwendet: s0661p0.339 (a=0,813, a² = 0,661 und b= 0,582, b²=0,339). Immer häufiger wird auch auf s normiert: sp0.51. Somit wird das bindende MO in LiH durch die Überlappung des H-1s-AO mit einem Li-Hybrid (h) gebildet (wobei der relative p-Anteil dem 0,51-fachen des s-Anteils entspricht):

2σ =  0,397 φh + 0,685 φH

sp-Hybrid 3D-Darstellung
sp-Hybrid (50%s 50%p)
Abb. 1: Niveaulinien für ein Hybridorbital, das aus einer s-p-Kombination gebildet wird. Die 
Knotenebene (Nulldurchgang der Wellenfunktion, nahe der größten Konturlinie) ist durch 
die Zumischung des s-Orbitals etwas vom Kern (bei 0,0) weggerückt.
Unter Hybridisierung wollen wir im allgemeinen die Kombination von Atomorbitalen am gleichen Atom verstehen, und das ist eher die Regel als die Ausnahme, wenn wir eine MO-Berechnung durchführen. Die Tatsache, dass die genauen Ergebnisse meistens mit Hilfe einfacher paarweiser Überlappung neu interpretiert werden können, manchmal vielleicht mittels der Hybride an Stelle von reinen Atomorbitalen, gestatten uns die Beibehaltung und Verbesserung des qualitativen Konzepts. Die Form eines Hybrids ist in Abb. 1 dargestellt, die das Prinzip der maximalen Überlappung bekräftigt, das die Grundlage unserer qualitativen Diskussion war. Die "Beimischung" von einem "2p-Charakter" zu einem reinen 2s-AO liefert ein Hybrid, das deutlich gegen das H-1s gerichtet ist, so dass eine stärkere Überlappung entsteht. Die Energie wird abgesenkt (das muss so sein, denn die Koeffizienten werden nach dem Variationsprinzip bestimmt), die Wellenfunktion wird verbessert und die Bindungsstärke wird erhöht. Sogar ohne die Durchführung einer Rechnung haben wir mit Hilfe des Prinzips der maximalen Überlappung geschlossen, dass die Hybridisierung eines Li-2s-AO (damit es sich zum Wasserstoff hin erstrecken kann) eine bessere Beschreibung liefert. Die Rechnung dient nur dazu, genaue Werte für die Kombinationskoeffizienten zu erhalten.

Ein Hybridorbital ist also eine Linearkombination von Atomorbitalen eines einzelnen Atoms. Ein sp-Hybridorbital ist beispielsweise eine Funktion, die aus gleichen Anteilen von s- und p-Orbitalen desselben Atoms besteht (s. Abb.1). Ein Elektron, das dieses Orbital besetzt, hat dann 50% s-Charakter und 50% p-Charakter. In unserem Ausgangsbeispiel des Li-Hybrids war der 2s-Anteil etwas größer als der 2p-Anteil, er betrug 0,661:0,339 ≈ 1,95:1 statt 1:1 wie bei einer 50:50 Beteiligung. Ein sp³-Hybrid besitzt 25% s- und 75% p-Charakter (das bedeutet, dass s- und p-Orbitale im Verhältnis 1:3 beitragen). Ein sp³d²-Hybrid ist entsprechend ein Orbital, zu dem s-, p- und d-Funktionen im Verhältnis 1:3:2 beitragen.
Allgemein gilt, dass aus N Atomorbitalen N zueinander orthogonale Hybridorbitale konstruiert werden können. Was beruhigend ist, denn so geht uns kein Orbital durch die Hybridisierung verloren. Es gibt also
zwei orthogonale sp-Orbitale (Bilder sp-OrbitaleY, |Y|² als 3D und Konturplot)
drei orthogonale sp²-Hybride (Beispiele für sp²: Y, |Y|² als 3D und Konturplot)
vier orthogonale sp³-Hybride
und sechs sp³d²-Hybride.

Die Form der Hybridorbitale erhält man aus der Form der beitragenden Atomorbitale unter Beachtung der konstruktiven bzw. destruktiven Interferenz, die bei der Kombination auftritt. Die großen Lappen der sp-Hybridorbitale, die aus einem s- und einem p-Orbital gebildet werden können, zeigen in entgegengesetzte Richtungen. Der Winkel zwischen den Hybridorbitalen wird um so kleiner, je höher der p-Anteil ist. Die vier sp³-Hybride, die aus einem s.Orbital und einem Satz p-Orbitale entstehen, sind tetraedisch um as Atom angeordnet, und die sechs sp³d²-Orbitale bilden ein Oktaeder. Die Hybridorbitale werden stets so konstruiert, dass sie in Bindungsrichtung zeigen (bzw. in Raumrichtungen, die den Positionen von freien Elektronenpaaren entsprechen). Da alle hier erwähnten Hybridorbitale auch auch etwas s-Charakter besitzen, hat keins von ihnen eine Knotenfläche direkt am Ort des Kerns. Die Knotenflächen, die für p- und d-Orbitale typisch sind, sind in den Hybridorbitalen leicht vom Kern weg verschoben (Abb.1). Häufig vorkommende Hybridisierungen und die geometrische Anordnung der zugehörigen Hybridorbitale sind in der Tabelle abgegeben.
 

Tabelle 1: Einige typische Hybridisierungen
Koordinationszahl Anordnung Zusammensetzung
2
linear 
gewinkelt
sp, pd, sd 
sd
3
trigonal 
unsymmetrisch planar 
trigonal pyramidal
sp², p²d 
spd 
pd²
4
tetraedisch
verzerrt tetraedisch
quadratisch planar
sp³, sd³ 
spd², p³d, pd³ 
p²d², sp²d
5
trigonal bipyramidal 
tetragonal pyramidal 
pentagonal planar
sp³d, spd³ 
sp²d², sd4, pd4, p³d² 
p²d³
6
oktaedrisch 
trigonal prismatisch 
trigonal antiprismatisch
sp³d² 
spd4, pd5
p³d³

Hybridorbitale wurden ursprünglich im Rahmen der Valenzbildungstheorie eingeführt, in der jede Bindung durch Überlappung je eines Orbitals zweier benachbarter Atome beschrieben wird. In dem tetraedischen Molekül CH4 werden die C-H-Bindungen beispielsweise durch Überlappung je eines H 1s-Orbitals mit einem der vier sp³-Hybridorbitale am Kohlenstoff erklärt. Bei der Beschreibung des trigonal pyramidalen Moleküls NH3 muss sich eines der vier Hybridorbitale von den anderen drei unterscheiden. Da der HNH-Winkel mit 107° kleiner als der Tetraderwinkel ist, müssen die Hybridorbitale, die die N-H-Bindung ausbilden, einen größeren p-Anteil aufweisen als ein sp³-Orbital. Zur Charakterisierung von Hybridorbitalen können die an einem Molekül identifizierten Winkel herangezogen werden. Zwischen dem Koeffizienten λ in einem spλ hybridisierten Atom und der Ausrichtung der Bindungen zu seinen Bindungspartnern gilt folgende Beziehung (hier am Beispiel des NH3, wobei φ den Bindungswinkel HNH symbolisiert)
cos φ =  −1/λ
Für die die NH-Bindung eingehenden Hybridorbitale erhält man λ = 3,42, sie können als sp3.42 Hybridorbitale beschrieben werden. Auch die Koeffizienten a und b der Linearkombination h  =  as + bp sind mit Hilfe des Bindungswinkels φ berechenbar (Zahlenwerte für NH3)
a²  =  cos φ/cos φ −1     b²  =  1 - a²
a²  =  0,226 b²  =  0,774

Ebenfalls aus dem Winkel &phi ergibt sich die Hybridisierung weiterer vorhandener, nicht aber an Bindungen beteiligter Hybridorbitale. Im Falle von NH3 nimmt das in der Molekülachse liegende Orbital das nichtbindende Elektronenpaar des N-Atoms auf. Da die Hybridorbitale der Bindung einen höheren p-Anteil haben, wird umgekehrt für dieses Orbital einen höherer s-Anteil aufweisen.
h'  =  a's + b'p'
a' 2 =  1 + cos φ/1 − cos φ
a' 2 =  0,71/1,29 =  0,547 ⇒  b2 = 0,453
0,453 : 0,547 = 0,83 ⇒ sp0,83-Hybridorbital
Abb. 2a: Das Korrelationsdiagramm für das CO-Molekül ohne Hybridisierung. Das höchste besetzte MO (3σ) ist antibindend.
Abb. 2b: Das Korrelationsdiagramm für das CO-Molekül mit Hybridisierung. Mit der verstärken Trennung der bindenden und antibindenden σ-MO wird das höchste besetzte MO (3σ) ein Orbital für ein einsames Elektronenpaar am Kohlenstoff, in Übereinstimmung mit dem Experiment. (Um die Übersichtlichkeit zu wahren, wurden die π-Niveaus weggelassen.)
Das CO-Molekül selbst ist ein ausgezeichnetes Besispiel für die Hybridisierung. Ohne Hybridisierung erhalten wir das Korrelationsdiagramm (nur für die Valenzelektronen) in Abb.2a paart man jene Atomorbitale, die sich energetisch am nächsten sind, so ist das niedrigste σ-MO im wesentlichen das O-2s-AO, ein einsames Elektronenpaar am Sauerstoff; die nächsten sechs Valenzelektronen werden durch (2σ)²(1π)4 (eine σ-Bindung und zwei π-Bindungen) beschrieben; schließlich ist (3σ)² ein Elektronenpaar in einem antibindenden σ-MO. Diese Beschreibung steht im Widerspruch zu den experimentellen Befunden, die auf eine starke σ-Bindung und auf ein einsames Paar am Kohlenstoff hindeuten. Der Effekt einer 2s-2pz-Kombination (das 2pz-AO hat σ-Symmetrie) ist in Abb.2b dargestellt. Der geringe energetische Unterschied zwischen h1 (im wesentlichen C-2s) und h2 (im wesentlichen O-2p), zusammen mit deren verstärkter Überlappung, liefert eine stark vergrößerte Aufspaltung zwischen den bindenden und den antibindenden Niveaus. Das 3σ-MO ist im wesentlichen das Kohlenstofforbital l1, das ein Hybrid für ein einsames Elektronenpaar ist, das im wesentlichen aus dem 2p-AO besteht, aber mit etwas 2s-Charakter. Das antibindende MO ist nun unbesetzt, die am höchsten gelegenen zwei Elektronen sind im wesenltichen durch (l1)² beschrieben; darüberhinaus zeigt h1 in die Bindung hinein, und deshalb muss das zweite Hybrid l1 aus der Bindung herauszeigen. Der orthogonale Partner von h1 = a 2s + b 2p lautet l1 = b 2s − a 2p.

Im einzelnen wird die CO-Gruppe sehr leicht an Übergangsmetallionen gebunden., wobei das elektronenreiche Kohlenstoffende durch das positive Ion angezogen wird. Die Gruppen CN und NO+ sind zu CO isoelektronisch und treten ebenfalls häufig in Übergangsmetallkomplexen auf, wobei die Bindung auf ähnliche Weise zu erklären ist.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Konzept der Hybridisierung in der qualitativen Bindungstheorie von großer Bedeutung ist. Dieses Konzept liefert uns im Vorhinein die wichtigsten Ergebnisse einer vollständigen wellenmechanischen Berechnung: Die Paarung der Orbitale mit vergleichbaren Energien und eine ausreichende Überlappung .

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