Linearkombination von Atomorbitalen (LCAO)

Dank des Doppelspaltexperiments kennen wir bereits ein wesentliches Prinzip der Quantenmechanik, nämlich dass sich die richtige Wahrscheinlichkeitsamplitude zur Beschreibung eines Systems als Linearkombination der Einzelamplituden darstellen läßt. Wir wollen nun molekulare Energiezustände und Wellenfunktionen bestimmen. Hierzu müssten wir die Schrödingergleichung Hyn  =  En ynlösen, wobei H der Hamiltonoperator für das Molekül ist und die ynsind dann die Molekülorbitale. Zur Analyse des Systems entwickeln wir die Eigenfunktion yn nach anderen (uns sehr wohl bekannten) Basisfunktionen φk, wobei die entsprechenden φk dann natürlich nicht mehr Eigenfunktion bzgl. Hyn sind: y = Σk ckφk (zur Vereinfachung ist der Index n weggelassen worden). Der nachfolgende Teil ist mathematisch abstrakt gehalten. Wer sich jedoch auf etwas einfachere Weise einen ersten prinzipiellen Eindruck verschaffen möchte, sollte hier klicken.
Die auffallendste Eigenschaft eines Molekülorbitals (MO)  ist die Mehrzentrigkeit. Dadurch unterscheidet es sich von einem Atomorbital (AO). Man beschreibt das Elektron physikalisch am besten, wenn man sagt, es bewege sich in einem Orbital, das die Umgebung beider (resp. aller) Kerne umfaßt. Wir wollen zur Beschreibung der Molekülorbitale y diese als Linearkombination von Atomorbitalen f darstellen (LCAO = Linear Combination of Atomic Orbitals). Welche f man am besten auswählt, werden wir bald sehen. Doch zunächst ist die Entwicklung der y-Funktion nach den φ's mit den üblichen Abkürzungen für den allgemeinen Fall (beliebiges Molekül) beliebig vieler φ-Funktionen in der linken Spalte, bzw. für ein zweiatomiges Molekül (mit nur 2 φ-Funktionen) in der rechten Spalte der Tabelle dargestellt:
 

Hy  =  E y
y = Σk ckφk y = cAφA + cBφB
HΣkckφk = E Σkckφk
H(cAφA+cBφB) = E(cAφA+cBφB
Multiplikation mit φi* und : Multiplikation mit φA* und :
Σkckòfi* Hφkdτ = E Skck· òfik
cA òfA* HφA + cB òfA*HφB = EcA + EcB· ò fAB
Hik = òfi* Hφkdτ;
Sik = òfik
HAA= òfA* HφA ;  HAB= òfA* HφB
SAB = òfAB
Σkck(Hik− E · Sik) = 0 
cA(HAA − E) + cB(HAB − E · SAB) = 0 
cA(HBA − E · SBA) + cB(HBB − E) = 0 

Es handelt sich um lineare Gleichungssysteme (Säkulargleichungen), die nur dann eine andere als die mathematisch triviale Lösung ck=0 haben, wenn die sogenannte Säkulardeterminante verschwindet. Im zweiatomigen Fall ist die Lösung auch einfacher zu erhalten. Wir brauchen beide Gleichungen nur nach cA/cB auflösen und gleichsetzen. Vielleicht irritiert es, dass überhaupt eine Größe òfikdτ auftaucht; haben wir doch gelernt, dass die f-Funktionen eines Atoms, also die AOs, orthogonal sind. Stimmt natuerlich, aber eben nur, wenn sie sich auf das gleiche Zentrum (Atom) beziehen. Bei Molekülen sind die AOs unterschiedlicher Atome aber wegen der Mehrzentrigkeit gegeneinander verschoben und da sind sie natürlich nicht zwangsläufig orthogonal. Wir ahnen aber schon, dass es sehr wünschenswert wäre zu wissen, wann das Integral  ò fABdτ verschwindet. Wer ungeduldig ist und selber nachdenken möchte, kann schon einmal unterschiedliche Atomorbitale, z.B. 1sA (für Atom A) mit 2px, 2py, oder 2pz des Atoms B "paaren" und sich überlegen, wann das Integral verschwindet. Doch zunächst sei darauf hingewiesen, dass Größen wie HAA, HAB, SAB etc. in allen Anwendungen der LCAO-MO-Theorie auftreten, und deshalb ist es wichtig, ihre physikalische Bedeutung genau zu kennen. Häufig wird auch eine andere Abkürzung gewählt:

αA = HAA = ò fA* HfAdτ           αB =  HBB = ò fB* HφB

β = HAB= HBA= ò fA* HφBdτ          SBA= SAB= S =  ∫ fAB

Die Gleichungen für das AB-System lauten dann:

cAA− E) + cB(β − E·S) = 0
cA(β − E·S) + cBB− E) = 0

Wir wollen uns zunächst die Bedeutung der Größen verdeutlichen:  Unter der Annahme einer normierten Funktion φA stellt die Größe αA etwa die Energie dar, die das Elektron haben würde, wenn es sich im Orbital φA am Atom A bewegen würde; eine analoge Interpretation gilt für αB. Die Energie αA ist nicht genau so groß wie EA, die Energie eines Elektrons in φA am isolierten Kern A, denn H enthält auch einen anziehenden Term für den Kern B. αA ist der Erwartungswert der Energie eines Elektrons, das durch φA beschrieben wird. Die Beiträge für αA kommen hauptsächlich aus dem kernnahen Bereich von A, wo auch φA groß ist, und das ist genau der Bereich, in dem H dem Operator eines freien Atoms ähnlich ist. Demnach ist αA (oder αB) etwa die Energie eines Elektrons in φA (oder φB) am Atom A (oder B), die durch die Anwesenheit des zweiten Atoms geringfügig verändert wird. Die Größen αA und αB enthalten Coulomb-Wechselwirkungsterme und werden deshalb kurz Coulombintegrale genannt. Der Betrag der α-Werte steigt, wenn wir für einen bestimmten Orbitaltyp im Periodensystem von links nach rechts gehen. Von links nach rechts nimmt die Elektronegativität oder die "elektronenanziehende Wirkung" der Atome zu.
Die Überlappung S12 zwischen zwei gleichen s-Orbitalen φ1 und φ2: (a) S12 ≈ 0; (b) S12 klein; (c) S12 → 1.

Die obigen Integrale hängen sowohl von φA als auch von φB ab. Es dürfte klar sein, dass β und S nur dann dem Betrag nach zu größeren Werten fähig sind, wenn sich beide Atomorbitale hinreichend stark überlappen. Wir nennen die Größe S Überlappungsintegral und die Größe β Bindungsintegral.
Die Lösung der Säkulargleichungen lautet für homonukleare Moleküle (bei denen das Atom A mit dem Atom B identisch ist, also αA = αB) etwas anders als für heteronukleare MoleküleA ¹aB), und deshalb werden wir die beiden Fälle gesondert behandeln. Um das Wesentliche zu verstehen, wenden wir uns zunächst dem einfachsten Molekül zu: Es ist das H2+-Ion. Die Laborchemiker mögen nun enttäuscht sein, denn wo begegnet ihnen schon dieses Ion; doch auch sie können nur vom Einfachen her das Komplexe verstehen.





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